Was ich erlebte, als ich mit dem E-Auto quer durch Italien fuhr
Unser Autor ist seit Jahren elektrisch unterwegs, oft verbunden mit Ärger, Pech und Pannen. Warum es diesen Sommer anders war und ob E-Autos endlich taugen, erzählt er in diesem Text.
Es gibt sie also doch noch, diese typischen E-Auto-Situationen, bei denen Verbrenner-Fahrende im Nachgang betont verständnisvoll sagen: »Ich finde es bewundernswert, wie du das machst, aber ich könnte das nicht.«
Dabei mussten wir etwa 2.000 Kilometer fahren, um die erste und einzige brenzlige Situation zu erleben:
Am Ende einer abschüssigen Einfahrt, kurz vor einem überdachten Stellplatz im südwestitalienischen Amalfiküstenort Minori entdecken wir das Ladegerät, das uns die App versprochen hat. Unter einer dicken Schicht aus Staub ist das Mini-Display zu erahnen. Wir hoffen, dass es funktioniert, denn viel Auswahl an öffentlich zugänglichen Ladepunkten gibt es in der Gegend nicht. Wir möchten das Auto anschließen, um dann den Tag über mit dem Bus von Bucht zu Bucht zu fahren und zu baden. Wenn wir zurückkämen, sollte das Auto dann vollgeladen sein. So die Theorie.
In der Praxis erklären uns 2 italienische Herren, das Gerät sei wohl kaputt. Bitte nicht, denke ich. Denn jetzt mit den letzten 10% im Akku noch einmal woanders hinfahren zu müssen, wäre ärgerlich. Geladen habe hier jedenfalls wohl noch niemand, soweit sie wüssten, sagen die beiden. Nach einigen Minuten des Beratschlagens beschließen wir, trotz fehlenden Lebenszeichens des Ladegeräts einfach mal das Kabel anzuschließen und die Ladekarte
Ein bisschen ist es wie in einem Endzeitfilm, bei dem dann in letzter Sekunde die Rettung vor den Aliens oder Zombies gelingt, weil das Auto irgendwie doch noch anspringt. Übersetzt für uns in diesem Hinterhof an der Amalfiküste bedeutet das: Der erlösende, nicht erwartete Piepston ertönt tatsächlich, Strom fließt.
Nicht nur wir, auch die beiden Herren freuen sich. Einer der beiden sagt: In 5 Jahren werde er sich wohl auch ein Elektroauto kaufen. Aber jetzt, na ja, sei das ja noch alles mühsam. Die Situation ist nicht geeignet, großartig dagegenzuhalten. Doch repräsentativ ist sie heute schon lange nicht mehr. Viel üblicher war während meines Urlaubs folgende Szene:
Mit 20% Restladung im Akku fahre ich an eine von 6 freien Ladesäulen am Rande der italienischen Autostrada. Ich schließe das Kabel an und melde mich kontaktlos mit der Ladekarte an. Nach wenigen Sekunden fließt der Strom. Die ganze Familie geht einmal aufs Klo, die Kinder bekommen ein Eis. Nach 20 Minuten, noch bevor die Kinder das Eis aufgegessen haben, ist das Auto abfahrbereit. Nach 2 1/2 Stunden Fahrt, ehe die Batterie wieder leer ist, wollen sich die Kinder bewegen. Also laden wir nebenbei noch mal auf.
Das war in den knapp 5 Jahren, seitdem ich mit dem E-Auto fahre, längst nicht immer so. Auf der einen Seite bin ich selbst erfahrener geworden, andererseits sind die Autos und die Ladeinfrastruktur heute deutlich besser. Entspannt 4.500 Kilometer durch Europa fahren? Klar geht das.
Der Fortschritt ist enorm
Seit 2018 ist meine Familie elektrisch unterwegs. Zunächst mit einem Nissan Leaf und dem guten Gefühl, einen Pionierdienst zu leisten. Dafür habe ich gerne auch unbequeme Situationen in Kauf genommen. Ich kann nicht zählen, wie oft ich irgendwo mit 2% oder weniger im Akku an der letztmöglichen Ladesäule andockte. So wusste ich irgendwann, dass auch mit 0% noch einiges an Strecke zu machen ist, wenn man das Radio und die Lüftung ausschaltet.
270 Kilometer Reichweite hatte der Wagen, die Batterie fasste 40 Kilowattstunden und ließ sich mit maximal 43 Kilowatt in ungefähr 45 Minuten wieder aufladen. Eine Batteriekühlung gab es nicht, deswegen konnte der Akku höchstens 2-mal am Tag schnell geladen werden. Denn ein heißer Akku lädt im Schneckentempo. Mehr als 400 Kilometer am Tag wurden deshalb zur Willensprobe. An kalten Wintertagen entlud sich der Akku zudem schneller. Nach einer Weile war klar, dass sich der japanische Schnellladeanschluss CHAdeMO des Leaf nicht durchsetzen
Trotzdem bescherte uns das Auto neben einigen grauen Haaren auch schöne emissionsarme Reisen durch Frankreich, England, Schweden, die Schweiz, Niederlande, Belgien und Österreich.
Hier findest du einen Bericht darüber, wie ich im Winter 2018/2019 mit dem Auto in den Winterurlaub gefahren bin:
Inzwischen hat sich bei den Ladegelegenheiten viel getan, vor allem seitdem klar ist, welcher Anschluss die Nase vorn hat. In Deutschland baute das Unternehmen
Karlsruhe, Zürich, Mailand – ohne Plan in den Urlaub fahr’n
Der größte Unterschied für uns ist bei dieser Reise: Wir haben den Leaf am Ende des vergangenen Jahres verkauft, nun fahren wir einen Hyundai Ioniq 5. Mit der kleinen Batterie (55 Kilowattstunden) hat er 370 Kilometer Reichweite, er hat den richtigen Ladeanschluss (CCS) und soll mit mehr als 200 Kilowatt
Was für ein gigantischer Unterschied zum anderen Modell! Wenn man nur alle 250–300 Kilometer 15–20 Minuten laden muss, ist die Diskussion um möglichst große Reichweiten und Batterien ziemlich überzogen. Wer schnell laden kann, braucht selbst auf langen Strecken keine gigantischen Reichweiten.
Wer in 18 Minuten von 10% auf 80% laden kann, braucht selbst auf langen Strecken keine gigantischen Reichweiten
Diesen Urlaub hatten wir noch für das alte Auto geplant. 3 Wochen Italien mit vielen Stopps, keine Teilstrecke sollte länger als 450 Kilometer sein. Anders als viele andere Urlaubende mögen wir es nicht, um 4 Uhr aufzustehen und dann 900 Kilometer bis zum Urlaubsort durchzubrettern, wo man dann 2 Wochen im Liegestuhl brät. Wir sind seit jeher vielmehr die gemütliche Rundfahrtfamilie, die selten vor 11 Uhr morgens aufbricht. Dieses Mal geht es an einem Freitagnachmittag Mitte Juli los.
Ich wollte bewusst so fahren, dass ich die Teilstrecken nicht großartig vorplane. So habe ich bei jeder Fahrt den Routenplaner von
Anders als früher habe ich nur 2 Ladekarten dabei, um mich an den Geräten zu identifizieren. Einmal eine des Energieanbieters Maingau und einmal die Karte von »Charge my Hyundai«. Früher habe ich zeitweise mit 2 Karten, 2 Chips und einigen Apps hantiert. Maingau deckt nun 410.000 Ladestellen ab, Hyundai mehr als 550.000. Während bei Maingau das Schnellladen einheitlich 64 Cent pro Kilowattstunde (ohne Vertrag) kostet, hängt der Preis bei »Charge my Hyundai« vom Säulenanbieter
Wir machen den ersten Stopp bei Mainz, der zähe Freitagabendverkehr hat uns zugesetzt, die Kinder haben es nötiger aufzuladen als das Auto nach 225 Kilometern. Als wir nach 24 Minuten mit einem schnellen Kaffee und dem Klobesuch durch sind, ist das Auto nebenbei wieder voll. In Karlsruhe übernachten wir und entdecken nahe der Jugendherberge einen
Es wird heiß: Norditalien bis Rom
In Italien fällt uns als Erstes auf, dass die
Jetzt finden wir sogar im historischen Örtchen Siena in der Toskana einen kleinen Schnelllade-Park. Ansonsten beherzigen wir den alten E-Mobilist:innenspruch: Steht er, lädt er. Denn langsames Laden kostet weniger und bei einer Stadtbesichtigung, die schon mal einen Nachmittag dauert, ist das Auto locker wieder voll. Manchmal bekommen wir sogar einen Premiumparkplatz am Straßenrand, während alle Plätze drumherum schon besetzt sind: Besser geht es nicht.
Die Hitze von bis zu 40 Grad zu dieser Zeit hat übrigens, abgesehen von einem leicht höheren Energieverbrauch, dem Auto keine Probleme bereitet. Bei Ausflügen nach Manarola oder Argentario, kleinere Orte an der Nordwestküste, mussten wir stärker darauf achten, wo wir laden konnten, aber wirklich eng wurde es mit unserer guten Reichweite nie.
Hinterm Vesuv wird’s kühler – und weniger elektrisierend
Südlich des Vesuvs, an der Amalfiküste, wehte da schon ein anderer Wind. Zum einen: angenehmere Temperaturen unter 30 Grad. Zum anderen: deutlich weniger Stromsäulen. Vor allem abseits der großen Autobahnen waren Schnelllader dünn gesät, in der beliebten Urlaubsgegend war es auch um langsameres Laden nicht gut bestellt.
Wer hierhin fährt, sollte sich also nicht allzu sehr auf eine existierende Ladeinfrastruktur verlassen – und taktisch bei Neapel noch mal ganz vollladen. Zurück auf der Hauptstraße nach Osten, Richtung Adria ist aber alles wieder gut. Als wir von Salerno aus ins malerische Städtchen Vico del Gargano in Apulien fahren, gibt es keine Probleme. Bei einem Ausflug nach Vieste finden wir sogar einen Schnelllader auf einem öffentlichen Parkplatz, und auf der Autobahn an der gesamten Ostküste ist die Ladesituation ebenfalls ziemlich gut.
Abruzzen, Emilia Romagna, Veneto, Südtirol
Der Rest der Reise, der uns die Wadenpartie des Stiefels wieder nach Norden führt, verläuft ohne besondere Vorkommnisse.
Die typischen Ladesäulengespräche mit anderen E-Auto-Fahrenden über Reichweite, Infrastruktur und Zufriedenheit mit dem eigenen Wagen gab es dieses Mal nicht. Stattdessen immer mal wieder neugierige Blicke von Männern und 2-mal neugierige Fragen von interessierten Fossilfahrern, wie es denn so laufe. E-Autofahrer sind ja immer auch ehrenamtliche Mobil-Botschafter.
Erstaunlich ist für mich, dass es auch heute noch diese große Skepsis gibt und es als entscheidender Vorteil gilt, dass ein Diesel 800 Kilometer ohne Auftanken fahren kann. Ich würde für dieses »Extra« weder die Emissionen noch das laute Fahrgeräusch oder das ständige Vibrieren des Motors haben wollen.
Leider viel zu schnell wieder zu Hause
Vielleicht fahre ich aber schon zu lange E-Auto, um dieses Argument noch nachvollziehen zu können. In meinen Augen gibt es schlicht keinen Bedarf dafür, 800 Kilometer weit zu fahren, ohne auch mal aufs Klo zu gehen oder einen Kaffee zu trinken. Es sei denn, man leitet daraus eine Art abstrakte Freiheit ab. Letztlich ist in meinen Augen nur die Leine länger.
Auch Diskussionen um Technologieoffenheit zum Beispiel bei Wasserstoff-Autos oder E-Fuels für Privatpersonen kann ich nicht mehr
Lisa Ossenbrink schreibt in diesem Artikel für unser Projekt »Chain Reactions« über Energiearmut in Namibia. Das Land soll künftig Wasserstoff für Deutschland liefern. Eine weitere Seite der Wasserstoffzukunft:
Ganz am Ende der Reise, inklusive einem finalen Abstecher zu einer Familienfeier nach Verl, haben wir 4.500 Kilometer auf den Pobacken abgerutscht, (fast) ohne negative Vorkommnisse oder Angst, irgendwo mit leerer Batterie zu stranden. Die Technik und auch die Abdeckung mit Ladepunkten in der EU haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Übrigens soll es laut einem Beschluss des Europäischen Parlaments bis 2026
Auch bei den Ladegeschwindigkeiten geht es aufwärts. So schnell wie der Hyundai Ioniq 5 sind zwar längst nicht alle Autos – aber auch hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. War vor 5 Jahren unser Auto mit 43 Kilowatt Ladeleistung gar nicht so schlecht, gehört es heute zu den gemächlicheren Modellen.
Inzwischen geht es standardmäßig eher Richtung 100 Kilowatt und mehr: der Fiat 500e lädt mit bis zu 85 Kilowatt, der VW ID3 mit 120 Kilowatt oder der Opel Corsa mit bis zu 100 Kilowatt. Ein Tesla Model Y, zeitweise das meistverkaufte Auto der Welt, kann man mit bis zu 250 Kilowatt
Meine Frau hatte übrigens nach den Erfahrungen mit dem Nissan Leaf vorsorglich 2 Springseile gekauft, um sie unseren Töchtern zu schenken. So sollten sie sich die Zeit vertreiben, bis das Auto geladen ist. Erst nach einer Woche erinnerte sie sich an die in Geschenkpapier gehüllten Seile im Kofferraum und gab sie den Kindern. Die Freude war groß, aber Gelegenheit, in den Ladepausen ins Schwitzen zu kommen, gab es kaum – der Akku lud einfach zu schnell.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily